Gedanken zur Weihnachtszeit

Liebe Silke,

bald begehen wir das zweite Weihnachtsfest ohne Dich.

Unser Weihnachtsbaum ist seit letztem Jahr ein ganz besonderer Baum. Die vielen Fotos, mit denen er geschmückt ist, sollen an Dich erinnern ─ an jedes der 41 gemeinsam verbrachten Feste. Angezogen von einer stillen Hoffnung, wandert unser Blick immer wieder zu Deinem angestammtem Platz im Poäng-Sessel, und jedes Mal stellen wir schmerzlich fest, Du sitzt nicht mehr dort. Mit einem wehmütigen Lächeln erinnern wir uns daran, wie Du mit Deiner Nichte und Deinem Neffen manches Kämpfchen um den begehrten Platz im Sessel ausgefochten hast. Die Verlierer hatten unermüdlich darauf gelauert, den nächsten Gang zur Toilette schamlos auszunutzen.

Das Weihnachtsfest anders feiern zu müssen, als es uns lieb geworden ist, vereint uns dieses Jahr mit vielen Menschen. In der Corona-Pandemie werden viele ihren Angehörigen an Weihnachten nicht so nah sein können wie sonst. Verantwortungsbewusst gilt es, Kontakte zu reduzieren.

Die gegenseitige Verantwortung füreinander steht derzeit stark im Fokus, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Du hast sie jedenfalls in Deinem privaten wie auch im beruflichen Umfeld mit viel Engagement wahrgenommen. Gilt das auch für in leitender Position stehende Personen, die in Deine Problematik involviert waren? Haben sie in jeder Phase Dir gegenüber verantwortungsvoll gehandelt? War ein Dir wichtiger Mensch womöglich zu ignorant, bequem oder zu . . .? Wie sehr belastet sie das Geschehene?

Uns fällt es ungemein schwer, die Balance zwischen Zuversicht, einer gewissen Freude am Leben und dem Schmerz Deines Verlustes zu finden. Unser Lachen ist leiser geworden, die Erinnerung an Vergangenes lebendiger ─ die Traurigkeit und die belastenden Fragen aber nicht weniger. Doch unserem Herzen bist Du immer ganz nah.

Deine Dich liebende Familie